Bücher im Gespräch

Episode 8: Adorno und das Glück

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Pola Groß spricht mit Falko Schmieder (beide ZfL) über ihr Buch Adornos Lächeln. Das ›Glück am Ästhetischen‹ in seinen literatur- und kulturtheoretischen Essays (Berlin: De Gruyter 2020).

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In jüngster Zeit ist ein wiedererwachtes Interesse am Denken Theodor W. Adornos festzustellen, der dabei allerdings allzu häufig vorschnell zum Kulturpessimisten abgestempelt wird. In ihrer Lektüre versteht Pola Groß das seltene Lächeln des Philosophen hingegen als ein versöhnliches und zugewandtes, das die Hoffnung noch nicht aufgegeben hat, und zeigt auf, dass es Adorno letztlich doch immer ums Glück geht.

Adornos an Horkheimer orientierter politischer Glücksbegriff fasst individuelles und gesellschaftliches Glück als stets aufeinander verwiesen – das eine ist ohne das andere nicht zu haben. Nach den Katastrophen des 20. Jahrhunderts und der Erfahrung der Shoah, die für Adorno die Realisierungsmöglichkeiten gesamtgesellschaftlichen Glücks zunichte gemacht haben, kann ein besseres und gerechteres Leben jedoch nur noch in der Kunst antizipiert werden. Entgegen dem häufig gegen ihn erhobenen Vorwurf des Elitarismus zeigen Adornos Ausführungen zu Zirkus, Feuerwerk, Trickfilm und Kitsch, dass gerade die ›leichten Künste‹ für ihn die Möglichkeit bieten, in der jähen ästhetischen Erfahrung sich selbst zu vergessen und so dem Glück ein Stück weit näherzukommen.

Adornos kunstkritische Essays sind dabei auch als Interventionen in die Debatten seiner Zeit zu verstehen, so beispielsweise als Kritik an den Diskursen von Schuldabweisung, »Neuanfang« und Vergessen nach Auschwitz. Die Beschäftigung mit ihnen kommt somit nicht ohne eine kritische Historisierung aus, wie sie Adorno selbst zum Beispiel für den Mythos betreibt. Auch seine Betrachtungen einzelner Kunstwerke verfahren historisch-kritisch und situieren diese stets in einer Gegenwart, die er mit Benjamin als von Vergangenem und Zukünftigem durchdrungen auffasst.

Erst in dieser historischen Perspektive erklärt sich, warum die von Chaplin und in Hašeks »Soldaten Schwejk« angewandten Verfahren der Ironisierung für Adorno nach Auschwitz obsolet geworden sind und wie eine ›rettende Kritik‹ dennoch die glücksversprechenden Potentiale einzelner Werke offenlegen kann. Diese Kritik zielt auch auf das ›falsche Glück‹, das eine Versöhnung vorgibt, wo keine möglich ist. Adorno setzt dem das in den Werken Becketts, Helms’ und Celans aufscheinende ›echte Glück‹ entgegen, das sich stets am aufgehobenen Leid entfalte. Im Anschluss daran stellt sich die Frage nach der geschichtsphilosophischen Dimension von Adornos Überlegungen zum Glück: Handelt es sich bei seiner Hinwendung von politischen zu ästhetischen Fragen um eine Resignation vor der Geschichte oder eine Rettung der Utopie vor der Vereinnahmung? Und welche Zugänge und Perspektiven bieten uns Adornos literatur- und kulturtheoretische Schriften heute?

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Die Literaturwissenschaftlerin Pola Groß ist mit dem Projekt Stil und Kitsch um 1900 und im Projekt Stil. Geschichte und Gegenwart wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZfL. Sie promovierte 2018 an der Universität Köln mit einer Arbeit zum ›Glück am Ästhetischen‹ bei Adorno. Der Kulturwissenschaftler Falko Schmieder ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprojekt Das 20. Jahrhundert in Grundbegriffen.


www.zfl-berlin.org

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Die Bücher:

Pola Groß: Adornos Lächeln. Das »Glück am Ästhetischen« in seinen literatur- und kulturtheoretischen Essays. Berlin: de Gruyter 2020

Christine Kirchhoff/Falko Schmieder (Hg.): Freud und Adorno. Zur Urgeschichte der Moderne. Berlin: Kulturverlag Kadmos 2014

Weiterführende Literatur:

Theodor W. Adorno: Kulturkritik und Gesellschaft, in: ders.: Gesammelte Schriften, hg. von Rolf Tiedemann, Bd. 10.1: Kulturkritik und Gesellschaft I: Prismen. Ohne Leitbild. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1977, 11–30

: Versuch, das Endspiel zu verstehen, in: ders.: Gesammelte Schriften, hg. von Rolf Tiedemann, Bd. 11: Noten zur Literatur. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1974, 281–321

Pola Groß: »Die Sätze müssen lyrisch gebaut sein, sonst finde ich die nicht gut«. Rhetorik und Stil in der Gegenwartsdramatik von Thomas Köck, Enis Maci und Wolfram Höll, in: Interjekte 14 (2022): Stil und Rhetorik, hg. von Eva Geulen und Melanie Möller [im Erscheinen]

: Stilisierung zum Kuschel-Philosophen. Zur Rezeption von Adornos »Aspekte des neuen Rechtsradikalismus«, in: ZfL BLOG, 27.1.2020

Max Horkheimer: Nachtrag zu: Traditionelle und kritische Theorie, in: ders.: Gesammelte Schriften, Bd. 4, hg. von Alfred Schmidt. Frankfurt a. M.: Fischer 1988, 162–225

Falko Schmieder: ›Geschichte‹ als geschichtliches Problem. Adornos rettende Kritik Oswald Spenglers, in: Christian Voller/Gottfried Schnödl/Jannis Wagner (Hg.): Spenglers Nachleben. Studien zu einer verdeckten Wirkungsgeschichte. Lüneburg: Klampen 2018, 83–104


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